Erklärungsversuche zur Mensch-Tier-Beziehung
Wieso üben Tiere eine solche Faszination auf Menschen aus? Warum leben allein in Berlin mehr als 100'000 Hunde? Laut Industrieverband
Heimtiere (IVH) leben in etwa 12 Millionen deutschen Haushalten über 23
Millionen Haustiere.
Warum sehnen sich Menschen nach einem Kontakt mit Tieren und freuen sich an ihm? Im folgenden seien einige Erklärungsansätze skizziert.
Biophilie-Hypothese
Tiere als Partner
Kommunikation von Mensch & Tier
Die Biophilie-Hypothese
Der Begriff "Biophilie" entstammt den altgriechischen Wörtern "bios" (= Leben) und "philia" (= Liebe) und bedeutet soviel wie "Liebe zum Leben".
Die meisten Menschen fühlen sich an einem sonnenbeschienenen Seeufer besser, als in einer baumlosen Plattenbau-Siedlung - und das nicht nur, weil dort der Sauerstoffgehalt der Luft höher ist. Es
gibt eine Sehnsucht nach Natur.
Wilson (1984) postuliert in seinem Buch "Biophilia: The Human Bond with other Species" eine biologisch begründete, angeborene, Affinität zur Vielfalt von Leben - zu Lebewesen und zu ökologischen
Settings, die Leben ermöglichen.
Er meint, diese erkläre sich aus der Stammesgeschichte des Menschen, welcher sich im Laufe seiner Evolution über Millionen Jahre
hinweg stets gemeinsam mit anderen Lebewesen entwickelte. Der Mensch komme aus der Natur und brauche die Verbundenheit mit ihr, um "ganz" zu
sein.
Dabei kann der Bezug zur Natur unterschiedliche Aspekte umfassen:
"Diese Verbundenheit mit der belebten und unbelebten Natur kann sich sowohl in Neugier, einem Gefühl der Verwandtschaft, einer Wertschätzung natürlicher Schönheit, Empathie, als auch Nutzung, gegenseitige Hilfe oder auch Angst ausdrücken." (Beetz, 2003:80)
Auch Meier (1985) argumentiert in "A testament to the wilderness" , der Mensch habe sich im Laufe seiner Evolution in und mit der Natur, mit wilden und domestizierten Tieren, Pflanzen
und Landschaften, unter dem Einfluss von Sonne, Sturm und Wasserkräften entwickelt.
Distanziere er sich von diesem seinem natürlichen Lebensraum, auf den hin er "zugeschnitten" sei,
indem er sich auf eine urbane, hoch technologisierte Umwelt beschränke,
würde er krank.
Wir bräuchten nicht nur saubere Luft, so Otterstedt (2003), um keinen Lungenkrebs zu bekommen und nicht nur saubere Flüsse, um möglichst viele Fische fangen zu können, sondern die "Bewahrung des natürlichen Ökosystems gibt dem Körper und der Seele die Chance, so zu funktionieren, wie das ursprünglich in ihrer phylogenetischen Heimat ausgewählt wurde" (Iltis 1983:3; zitiert nach Otterstedt, 2003:75).
Heute ahnten wir erst intuitiv, was die Natur für unsere seelische Gesundheit bedeute, aber wir würden "eines Tages die komplizierte neurologische Basis dafür finden [...], warum ein
Blatt oder eine hübsche Blume uns so ganz anders ansprechen als
eine zerbrochene Bierflasche" (Iltis 1983:5; zitiert nach Otterstedt:75)
Tiere, als Teil der Natur, vervollständigten demnach unser Leben, sie schafften eine "evolutionär bekannte" Situation in einer rasant voran-schreitenden Technisierung unserer direkten Lebensumwelt, an die sich der Mensch in der kurzen post-industriellen Zeit wahrscheinlich noch nicht hat optimal anpassen können.
Tiere als Partner
Vor allem emotionale und soziale Interaktionen seien, nach Beetz (2003),
in unserer modernen technologisierten Zivilisation erschwert worden - und genau
hierin liege die Bedeutung der Beziehung zu (Haus-)Tieren:
sie könnten emotionale und soziale Unterstützung in einer individualisierten, isolierten Gesellschaft bieten.
Zum einen in der Dyade Mensch-Tier selbst: "Menschen aller Alterstufen, aber insbesondere Kinder, Ältere, Kranke und einsame Menschen suchen und profitieren von der Nähe zu Tieren und
sehen diese als emotional bedeutsame Partner an." (Beetz, 2003:81)
Einer solchen Partnerschaft liegen laut Hegedusch & Hegedusch (2007) zwei Phänomene zugrunde: das des Anthropomorphismus und das der darauf begründeten sog.
Du-Evidenz.
Anthropomorphismus meint in diesem Zusammenhang die Übertragung menschlicher Emotionen und Eigenschaften auf Tiere, das Zuschreiben bzw. Erkennen von Gefühlen, Absichten und Erfahrungen.
Tiere werden als dem Menschen ähnlich empfunden.
Wenn das Gegenüber, hier also das Tier, seine Anonymität verliert, zu einem individuellen Du wird, spricht man von Du-Evidenz.
Kennzeichnend für eine solche Personalisierung sind bspw. die Namensgebung oder Geschenke zum Geburtstag, Tierbestattungen usw. - "damit wird das Tier zum Individuum, zum Subjekt, zum Adressaten von Kommunikation und Zuwendung und zu einem Mitglied der Familie mit Bedürfnissen und Rechten." (Hegedusch & Hegedusch 2007:44)
Tiere geben, laut Beetz (2003), ihren Menschen - unabhängig von gesellschaftlichen Normen - Zuneigung und Akzeptanz, sind in
ihrem Verhalten kontingent und zuverlässig und vermitteln ein Gefühl der Sicherheit. Sie könnten emotional unterstützende, Trost und
Wärme spendende Partner sein.
Zum anderen wirken Tiere außerhalb der Zweier-Dyade als Vermittler zu anderen Menschen, als soziale Katalysatoren.
Olbrich (2003) behauptet, Tiere ermöglichten oder erleichterten den sozialen Austausch mit anderen Menschen und erhöhten sogar die soziale Attraktivität ihrer
Menschen. Tiere strahlen ihm zufolge auf die ganze Situation (bspw. in Institutionen) aus, verringerten allein durch ihre Anwesenheit Aggressionen und machten bspw. die Beziehungen zwischen
Schülern einer Klasse oder zwischen Schülern und Lehrern kooperativer und freundlicher.
Auch für ehrenamtliche Besucher im Alten- oder Behindertenheim erleichterten
Tiere die Kontaktaufnahme zu den Bewohnern. Sie wirkten als Puffer, als Gesprächsstoff, als Gemeinsamkeit.
Ähnliches stellte auch der Psychotherapeut Boris Levinson schon Mitte des letzten
Jahrhunderts in den USA fest:
"Es ist gerade acht Jahre her, als ein Junge, der über Jahre ohne Erfolg von anderen Therapeuten behandelt worden war, von seinen verzweifelten Eltern zu mir gebracht wurde.
Weil dieser sich immer weiter in sich zurückzog, hatte man den Eltern die
Unterbringung in einem Heim für psychisch gestörte Kinder angeraten.
Ich zögerte sehr, den Fall anzunehmen, aber ich stimmte immerhin zu, das Kind für ein diagnostisches Gespräch zu mir zu bitten. Wie der glückliche Zufall es wollte, kamen die völlig
verstörten Eltern mit ihrem Kind eine Stunde zu früh zum Termin.
Ich saß vertieft in meiner Arbeit am Schreibtisch. Mein Hund zu meinen Füßen, wie immer wenn keine Patienten da waren. Ich empfing die Familie sofort und vergaß meinen Hund.
Der lief, ohne zu zögern, auf das Kind zu, begrüßte es stürmisch und
leckte ihm das Gesicht. Zu meiner Überraschung zeigte das Kind keine Angst, sondern kuschelte sich eng an den Hund und streichelte ihn. Die Eltern versuchten, die beiden zu trennen, aber ich
gab ihnen ein Zeichen, das Kind in Ruhe zu lassen.
Nach einiger Zeit fragte das Kind, ob der Hund mit allen Kindern spielen dürfe, die zu mir kämen. Als ich ja sagte, meinte der Junge,
dann wolle er wiederkommen und mit dem Hund spielen."
(Levinson, o.J.; zitiert nach Holz, 2006:2)
Einige Sitzungen lang spielte der Junge ausschließlich mit dem Hund, schmuste mit ihm, erzählte ihm seinen Kummer - und baute nach und nach über die Brücke Hund auch Vertrauen zu dessem Herrchen
auf und ließ ihn mitspielen. Mit dem wachsendem Vertrauen erlangte Levinson immer mehr Einfluss auf den Jungen, der sich schließlich auf die konventionellen
Behandlungsmethoden einließ.
Es gelang dem kleinen Patienten, eine Beziehung zu dem Hund aufzubauen und dann, nach und nach, auch zu dem Vertrauten des Tieren, zum Psychotherapeuten. Der Hund hatte als Eisbrecher fungiert.
Levinson setzte fortan seinen Hund immer öfter gezielt in der Therapie
ein und veröffentlichte seine Beobachtungen. Er gilt damit als einer der Begründer der wissenschaftlichen tiergestützten Therapie (vgl.
Holz, 2006).
Kommunikation von Mensch & Tier
Das Gefühl der Verbundenheit mit dem Tier begründet sich laut Hegedusch und Hegedusch (2007) auch und vor allem über
die vorrangig analoge Kommunikation (vgl. auch Watzlawick, Beavin & Jackson,
2011) - einer Kommunikationsart also, welche auf Beziehungsebene abläuft.
Analoge Kommunikation ist Körpersprache, sie benutzt keine Worte, funktioniert über Mimik und Gestik, die Sprache der Augen und Berührungen.
Sie vermittelt, wie die Kommunizierenden zueinander stehen, sie übermittelt Beziehungsaspekte. Sie ist willentlich schwer zu verfälschen und gilt damit als "ehrlicher" als die digitale Kommunikation (ebd.), welche verbal, also durch gesprochene oder geschriebene Worte, zur Wissens- und Inhaltsvermittlung benutzt wird.
Die Fähigkeit zur analogen Kommunikation hat natürlich jedes Lebewesen. Watzlawick: "Man kann nicht nicht kommunizieren, denn jede Kommunikation (nicht nur mit Worten) ist
Verhalten und genauso wie man sich nicht nicht verhalten kann, kann man nicht nicht kommunizieren." (www.paulwatzlawick.de)
In unserer Gesellschaft dominiert die digitale Kommunikation, die Inhaltsebene, vor der analogen Kommunikation, der Beziehungsebene. Watzlawick et al. betonen aber, dass beide Ebenen einen zentralen Platz im menschlichen Leben bekommen sollten. Beide Kommunikationsarten sind trainier- und erweiterbar (vgl. auch Hegedusch & Hegedusch, 2007).
Tiere kommunizieren fast ausschließlich analog (von speziellen gelernten Befehlen abgesehen!),
daher kann in der Interaktion mit Tieren wunderbar die analoge Kommunikation trainiert werden.
Tiere reagieren auf Körpersprache, auf Signale der Beziehungsebene, und "antworten"
entsprechen kongruent:
"Durch die geringe Relevanz sprachlicher Kommunikationsmittel in der Interaktion mit Tieren, erlangen die auf der affektiven Ebene gesendeten Informationen eine höhere Intensität"
(Hegedusch & Hegedusch, 2007:46)
Das ist der Grundstein des Verbundenheitsgefühls mit dem Tier.
Auch Beetz (2003) bezieht sich auf das beinahe automatische Training der nonverbalen Kommunikation im Umgang mit Tieren
und spricht sogar von einem Training der emotionalen Intelligenz.
Denn begebe man sich in Beziehung zu einem Tier, sei diese
Interaktion wenig kognitiv-rational ausgerichtet, sondern habe sehr viel stärkere emotionale, intuitive und empathische Anteile.
Paul (1992), Bryant (1989) und Poresky & Hendrix (1990) fanden bei Kindern, die mit Tieren aufwuchsen, mehr Empathie für Bedürfnisse und Gefühle anderer Lebewesen. Auch Poresky (1996)
fand positive Auswirkungen auf die soziale Entwicklung von Kindern.
Beetz (2003) erklärt dies folgendermaßen: Nonverbales Verhalten (sowohl des Tieres als auch seines Menschen) kann schwer verfälscht werden - Tiere reagieren also auf den tatsächlichen Zustand des
Menschen, nicht auf den verbalisierten, sie spiegeln ihn und ermöglichen dem Menschen damit, mit tieferen Schichten seiner Persönlichkeit in Kontakt zu kommen. Tiere fordern Authenzität,
eine Konsistenz von verbalem und nonverbalem Verhalten und erleichtern somit eine Integration von Kognitionen und
Emotionen, was wiederum für eine
gesunde emotionale und soziale Entwicklung bedeutsam ist.
Auch Olbrich (2002) behauptet, dass eine Mensch-Tier-Interaktion Authenzität im Sinne Rogers vermittele, "eine bessere Abstimmung
zwischen Erleben, Bewusstsein und Kommunikation" (Olbrich 2002:199).